ERP-Anforderungskatalog – Darauf kommt es an

Mehr als 70% aller ERP-Einführungsprojekte verfehlt laut einem Gartner-Bericht ihre Ziele. Ein durchdachter ERP-Anforderungskatalog kann das Risiko eines solchen Scheiterns minimieren. Mit seiner Hilfe stellen Sie sicher, dass Ihr neues System leistet, was Sie erwarten. Wir zeigen Ihnen, worauf es bei der Erstellung eines Anforderungskatalogs ankommt und wie Sie typische Fehler bei der Erstellung vermeiden.

Was ist ein ERP-Anforderungskatalog? – Definition und Einordnung

Ein ERP-Anforderungskatalog ist ein zentrales Dokument im ERP-Auswahlprozess, in dem Unternehmen alle funktionalen und nicht-funktionalen Anforderungen an ihre ERP-Lösung festhalten. Der Katalog bildet die Grundlage für interne Abstimmungen, Priorisierung und Anbieterauswahl.

Anforderungskatalog vs. Lastenheft vs. Pflichtenheft

Während ein Anforderungskatalog der internen Klärung dient, ist ein Lastenheft ein formelles Dokument, das ERP-Herstellern zugesendet wird, um Angebote einzuholen. Es beschreibt neben den Anforderungen an die neue ERP-Lösung auch die Ziele und aktuellen Prozessen im Unternehmen.

Während das Lastenheft sich auf das Was und Warum fokussiert, adressiert das Pflichtenheft das Womit und Wie. Das Dokument wird vom ERP-Anbieter erstellt, um zu erläutern, wie er die im Lastenheft beschriebenen Anforderungen plant umzusetzen.

Warum ein Anforderungskatalog unverzichtbar ist

Der Markt an ERP-Herstellern wächst seit Jahren und die Produktvielfalt mit ihren Funktionen und Technologien ist immens. Der Anforderungskatalog hilft, potenzielle Partner zügig aus der Masse an ERP-Herstellern herauszufiltern. Das Dokument gibt Orientierung, hilft Missverständnisse in der Kommunikation mit Anbietern zu vermeiden und senkt das Risiko einer Fehlentscheidung.

Der ERP-Anforderungskatalog sollte die Perspektiven aller relevanten Fachbereiche einbeziehen. Er sollte sicherstellen, dass die unterschiedlichen Anforderungen aufeinander abgestimmt werden und die Basis legen, dass die neue Lösung auf breite Zustimmung trifft.

Obwohl es teilweise anders suggeriert wird: Es gibt keine universelle Vorlage für einen ERP-Anforderungskatalog. Das Dokument ist immer individuell zu erarbeiten. Nur so kann es Ihre Ziele, Prozesse und Prioritäten wirklich widerspiegeln und Sie optimal unterstützen, Anbieter bedarfsorientiert zu vergleichen.

In 5 Schritten zum effektiven ERP-Anforderungskatalog

Es reicht nicht, Anforderungen im Elfenbeinturm des Managements zu formulieren. Ein tragfähiger Anforderungskatalog entsteht im Austausch mit Stakeholdern und in einem mehrschrittigen Verfahren. Bewährt hat sich folgende Vorgehensweise:

  1. Projektziele und Rahmenbedingungen definieren: Ausgangspunkt für die Suche nach einem neuen ERP-System sind strategische Unternehmensziele. Welche messbaren Verbesserungen erwarten Sie durch das ERP-Projekt? Welche organisatorischen, technischen oder regulatorischen Vorgaben müssen bei der ERP-Auswahl und Projektumsetzung beachtet werden?

  2. Prozesse analysieren: Bevor Sie Anforderungen formulieren, überprüfen Sie Ihre bestehenden Prozesse auf Stärken und Schwächen: Welche Prozesse laufen reibungslos? Wo treten regelmäßig Engpässe oder Medienbrüche auf? Die Ist-Analyse ist die Basis, um zielgerichtet Anforderungen abzuleiten.

  3. Anforderungen sammeln: Beziehen Sie früh die Perspektive der ERP-Anwender ein. Wo sehen Key User der Fachbereiche aktuell Verbesserungsbedarf? Mit welchen Herausforderungen kämpfen sie im Alltag? Führen Sie strukturierte Workshops, Interviews oder Umfragen durch. Oft erhält das Projektteam so wertvolle Impulse, die – bei der ERP-Auswahl berücksichtigt – die Akzeptanz des neuen Systems fördern.

  4. Anforderungen strukturieren: Gliedern Sie die erfassten Anforderungen, zum Beispiel in Muss- und Kann-Kriterien oder wählen Sie bei Bedarf eine feinere Kategorisierung. Diese Priorisierung vereinfacht es in der späteren Phase der ERP-Auswahl, akzeptable von nicht-akzeptablen Kompromisse zu unterscheiden.

  5. Validierung & Freigabe: Stimmen Sie den finalen Anforderungskatalog mit Ihren Stakeholdern ab. Gibt es noch offene Punkte oder widersprüchliche Anforderungen? Erst wenn Einigkeit besteht, sollten Sie den Katalog intern freigeben und für die ERP-Markterkundung einsetzen.

Wie organisieren Sie einen erfolgreichen ERP-Auswahlprozess? Mehr Detailinformationen finden Sie in unserem Leitfaden. 

Struktur: So bringen Sie die Inhalte in Form

Damit Sie schnell die Stärken und Schwächen verschiedener ERP-Systeme vergleichen können, gliedern Sie Ihre Anforderungen nach Themen. Orientieren Sie sich an den folgenden Kategorien und nutzen Sie unsere Leitfragen als Sprungbrett für die Formulierung Ihrer Anforderungen:

  • Technische Anforderungen: Welches Hosting-Modell soll unterstützt werden (Cloud, On-Premise, Hybrid)? Welche IT-Infrastruktur (Datenbank, Betriebssystem etc.) soll bei einer On Premise Installation abbildbar sein? Welche Schnittstellen  zu Drittsystemen, Plattformen wie Office365, Maschinen, Laborgeräten, Waagen etc. sind zu berücksichtigen? Welche Sicherheitsstandards und Verschlüsselungstechniken sind ein Muss?

  • Funktionale Anforderungen: Welche branchenspezifischen Funktionen benötigen Sie, zum Beispiel für die Chargenverfolgung, Umgang mit Gefahrstoffen und Gefahrgut, oder Rezepturentwicklungen, inklusive Deklarationen nach LMIV oder EU-Kosmetikverordnung? Welche Module (Logistik, CRM, Produktion u.a.) sollen vorhanden sein? Wie wichtig ist Ihnen Skalierbarkeit?

  • Nicht-funktionale Anforderungen: Was zeichnet eine gute Usability aus Ihrer Sicht aus? Soll die Darstellung der Oberflächen vom Desktop-PC bis zum Smartphone möglich sein? Wie performant soll das System bei hoher Auslastung sein? Entsprechen Support und Service-Level-Agreements ihren Vorstellungen?

  • Branchenspezifische & rechtliche Anforderungen: Welche branchenspezifischen Vorschriften und Richtlinien soll die Lösung im Standard erfüllen (z. B.REACH, GxP, LMIV)? Lassen sich Anforderungen aus DSGVO und GoBD abbilden? Welche Archivierungsoptionen bestehen? Muss ein spezieller Berater, beispielsweise für Validierungszwecke in der regulierten Industrie eingeplant werden? Hat der ERP-Anbieter branchenspezifische Templates für die Dokumentation?

  • Budget- & Zeitrahmen: Welche einmaligen und laufenden Kosten sind wünschenswert, welche akzeptabel? Wie transparent ist das Preismodell? Welcher zeitliche Rahmen ist realisierbar – für die Einführung, inklusive Schulung und Go-live?

Nutzen Sie künstliche Intelligenz!

Mit KI-basierten Tools können Sie die Analyse-Phase des Auswahlprozesses radikal verkürzen. Smarte Anwendungen analysieren Ihre bestehenden Prozesse, erkennen Muster und schlagen passende Anforderungen vor. KI-Texttools können die gesammelten Anforderungen dann standardisieren und in Sekunden zu einem Katalogentwurf formatieren. Das Dokument ist nicht perfekt, aber Sie erhalten schnell eine solide Basis für die weitere Abstimmung.

Der ERP-Anforderungskatalog in der Praxis: Anbieter bewerten und Kriterien anpassen

Ein guter Anforderungskatalog ist nur dann wertvoll, wenn Sie ihn auch systematisch nutzen. Entwickeln Sie eine Bewertungsmatrix, in der Sie die Muss- und Soll-Kriterien mit Gewichtungen versehen. Eine bewährte Methode ist das sogenannte MOSCOW Prinzip. Es unterteilt die Anforderungen in vier Kategorien:

  1. Must-have: Muss unbedingt erfüllt werden, sonst ist das Projekt nicht erfolgreich.
  2. Should-have: Wichtig, aber nicht kritisch – kann bei Bedarf später implementiert werden.
  3. Could-have: Wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig.
  4. Won’t-have (this time): Wird nicht in diesem Projekt berücksichtigt, aber vielleicht in der Zukunft.

So können Sie Angebote objektiv vergleichen. Beziehen Sie bei der Priorisierung unbedingt Key User der Fachabteilungen ein und nehmen Sie die Eindrücke aus Praxistests und Referenzbesuchen in die Bewertungsmatrix auf.

Es empfiehlt sich zudem, die Anforderungen in zeitlichen Phasen zu unterteilen, um die Key User nicht zu überlasten. Schließlich läuft auch während der Einführungsphase das Tagesgeschäft weiter. Die wichtigsten Kernprozesse, ohne die das Tagesgeschäft nicht abgebildet werden kann, sollten in die Phase1 genommen werden. Alle anderen Geschäftsabläufe können Sie, je nach Priorisierung, in nachfolgende Phasen einplanen.   

Ein ERP-Projekt zieht sich, branchenabhängig, über viele Monate. Sie erhalten Informationen von ERP-Herstellern, Kunden und Branchenexperten, die Ihre Anforderungen und Prioritäten beeinflussen können. Es ist daher nicht zielführend, an einem einmal definierten Anforderungskatalog festzuhalten. Verstehen Sie das Dokument als lebendiges Produkt: Passen Sie es an neue Erkenntnisse an, ohne Ihre Ziele aus den Augen zu verlieren. Nutzen Sie Versionierung, um bei Bedarf auf alte Versionen zurückzuspringen und Transparenz für Stakeholder zu schaffen.

4 typische Fehler, die Sie vermeiden sollten

Viele Anforderungskataloge verschwinden kaum gelesen in den Weiten digitaler Speicher, weil sie sich als wenig praktikable Arbeitsinstrumente herausstellen. Diese Stolperfallen sollten Sie kennen und meiden: 

  • Anforderungen ohne strategischen Bezug: Fokussiert sich der Anforderungskatalog auf technische Spezifikationen, ohne Rückkopplung zu strategischen Unternehmenszielen, führt das oft zu Lösungen, die zwar technisch top modern sind, aber am Bedarf vorbeigehen.
  • Mangelnde Zusammenarbeit mit Fachabteilungen: Wenn Projektteams Anforderungen ohne Rücksprache mit den Fachbereichen definieren, ist das Risiko hoch, dass wichtige Insights nicht bei der Suche berücksichtigt werden und das neue System die Erwartungen nicht erfüllt – was zu Akzeptanzproblemen führt und Nachbesserungen erforderlich macht.
  • Keine klare Priorisierung: Kein ERP-System erfüllt sämtliche Anforderungen von Unternehmen gleichermaßen. Ohne eine Gewichtung in Muss- und Kann-Kriterien wird es schwer, die Auswahl potenzieller Kandidaten einzugrenzen.
  • Veraltete Informationen und nicht validierte Annahmen: Werden Anforderungskataloge im Elfenbeinturm des Managements geschrieben, basieren sie häufig auf nicht mehr aktuellen Prozessbeschreibungen und unzutreffenden Annahmen. Ein enger Austausch mit internen Stakeholdern ist das beste Mittel, um den Auswahlprozess nicht zu verzerren.

Der ERP-Anforderungskatalog: Je individueller, desto effektiver

Ein professionell erstellter ERP-Anforderungskatalog ist mehr als nur eine Checkliste. Er ist Ihr strategischer Kompass für eine nachhaltige Systemauswahl. Denken Sie Ihre Anforderungen ganzheitlich, arbeiten Sie kollaborativ und bleiben Sie offen für Veränderungen – dann wird Ihr Anforderungskatalog ein wirksames Werkzeug auf dem Weg zu einem zukunftsstarken ERP-System.

Sie möchten starten? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche ERP-Beratung. Sammeln Sie erste Informationen und gewinnen Sie Klarheit über Ihre Prioritäten.

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