ChatGPT bzw. ChatGPT Plus ist in aller Munde. Fast jeder hat wahrscheinlich inzwischen erste Erfahrungen mit dem smarten Sprachbot gemacht – sei es, um Texte für Präsentationen zu formulieren, zu recherchieren oder sich einfach nur E-Mails schreiben zu lassen. Was manche nicht wissen: Mit der KI lässt sich natürliche Sprache auch in Programmiercode übersetzen. Löst ChatGPT damit das Konzept der Low Code-Plattformen ab? Oder am Ende sogar den Programmierer aus Fleisch und Blut?
Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) aus dem Hause OpenAI verläuft rasant: Erst vor einem halben Jahr revolutionierte das US-amerikanische Unternehmen die IT-Welt mit ChatGPT (GPT = Generative Pretrained Transformer), dem bis dato leistungsfähigsten Sprachbot, den es jemals gab. Und dieser Bot lernt und lernt. Nach dem Prototypen ChatGPT, der noch auf dem generativen Sprachmodell GPT-3.5 basierte, ist OpenAI mittlerweile mit dem kostenpflichtigen Nachfolger ChatGPT Plus auf dem Markt. Der Bot wurde jetzt auf einem leistungsfähigeren Sprachmodell (GPT-4) trainiert, das nach Angaben von OpenAI noch kreativer und kooperativer ist und komplexe Probleme leichter lösen kann.
Apps per Sprachbefehl
Aber GPT-4 kann nicht nur Texte formulieren. Die KI ist auch in der Lage, sprachliche Anweisungen in Programmcode in verschiedenen Programmiersprachen zu übersetzen. Kurz: Anwender können Code per Sprachbefehl erzeugen. Der Nutzer muss dem System dazu lediglich mitteilen, was der Code können soll und in welcher Programmiersprache er ausgeführt werden soll. Der Entwickler Morton Jost hat auf diese Weise kürzlich eine komplette iPhone-App mit dem SwiftUI-Framework von Apple erstellt. Sein Befehl: „Hey gpt4, mach mir eine iPhone-App, die jeden Tag 5 neue Filme + Trailer + wo man sie sehen empfiehlt.“ Gesagt, getan. Das System erzeugte zunächst Pseudocode und generierte dann eine ganze SwiftUI-Lifecycle-App – wenn auch zunächst noch mit einigen Bugs.
Wenn ChatGPT also per Sprachbefehl Anwendungen programmieren kann, stellt sich unweigerlich die Frage nach der künftigen Rolle von Low Code Plattformen – jenen Systemen, mit denen auch Nicht-Programmierer aus vorgefertigten Bausteinen und Logiken einfache Apps erstellen können. Löst ChatGPT Low Code womöglich ab? Experten verneinen das. Denn zum einen gilt bei Code wie auch bei Sprache, dass die Ergebnisse des Bots bis dato nur teilweise verlässlich sind. Es braucht daher tiefere Programmierkenntnisse, um zu erkennen, was die KI korrekt auswirft und was nicht. Und auch die Detailarbeiten bei der Erstellung einer App sind für einen Laien nicht leistbar. ChatGPT selbst beantwortet die Frage folgendermaßen:
„ChatGPT kann zwar dabei helfen, Code zu generieren oder Entwicklungsfragen zu beantworten, jedoch gibt es wichtige Unterschiede zwischen einem Sprachmodell wie ChatGPT und einer Low Code-Plattform. Letztere bieten eine höhere Abstraktionsebene, wodurch Entwickler nicht unbedingt umfangreiche Kenntnisse in der Programmierung haben müssen, um Anwendungen zu erstellen. ChatGPT kann als Unterstützung oder Hilfsmittel in Low Code-Plattformen eingesetzt werden. Es kann nützlich sein, um einige Teile des Codes zu generieren oder zu unterstützen, aber es kann nicht alle Aspekte der Anwendungsentwicklung abdecken. Komplexe Aufgaben erfordern weiterhin das Verständnis von Programmierung, Architektur und anderen technischen Aspekten, die von Low Code-Plattformen abgedeckt werden.“
ChatGPT sieht sich also selbst nicht als Konkurrenz zu Low Code, sondern als sinnvolle Ergänzung. Oder um des mit den Worten des Bots zu sagen:
„ChatGPT stellt nicht das Ende von Low-Code Plattformen dar, sondern erweitert ihre Funktionalität.“
Sprachbot mit Zukunft
Trotz aller Skepsis und (noch) gedämpfter Erwartungen lässt ChatGPT überall auf der Welt die Programmierer-Köpfe rauchen, um künftige Einsatzszenarien für die KI zu entwickeln. So hat Siemens auf der Hannover Messe im April eine Kooperation mit dem Software-Konzern Microsoft verkündet – mit dem Ziel, KI verstärkt in der Steuerung von industriellen Produktionsprozessen einzusetzen. Unter anderem arbeiten die Partner an einem Konzept, das mithilfe ChatGPT und anderen KI-Diensten eine automatisierte Erstellung von Programmiercode für industrielle Steuerungscomputer ermöglichen soll. Mitarbeiter müssten den Maschinen auf Englisch oder Deutsch nur noch sagen, was diese tun sollen, und die Rechner erstellen dann eigenständig die entsprechenden Codes in der SPS-Programmiersprache (SPS = Speicherprogrammierbare Steuerung). Bei Siemens sieht man in den industriellen KI-Lösungen keinen Ersatz, aber in jedem Fall eine wertvolle Unterstützung für IT-Experten. Denn wenn der Computer das (einfache) Coden übernimmt, bleibt für die Entwickler mehr Zeit, um sich komplexeren Aufgaben zu widmen.
Unterstützung im ERP-Umfeld
Auch im ERP-Umfeld kann ChatGPT wertvolle Dienste leisten, zum Beispiel bei der Kundenkommunikation. Dazu verbindet man den Bot über Schnittstellen (API, Application Programming Interface) mit einem CRM- oder ERP-System. Bei Fragen oder Problemen hilft ChatGPT dem Kunden dann automatisch bei der Lösungsfindung, etwa bei der Fehlfunktion einer Maschine. Wartungsteams vor Ort werden somit entlastet.
Spinnt man die Geschichte weiter, könnten ChatGPT oder vergleichbare KI-Modelle künftig auch das Customizing von ERP-Systemen stark vereinfachen und beschleunigen – beispielsweise indem der Anwender per Sprachbefehl selbständig Prüfschritte bei der Erfassung von Kundenaufträgen einfügt, Code für die Anbindung von externen Cloud-Services erstellt oder zusätzliche Felder und Logiken im Kundenstamm ergänzt.
Aber auch bei der Analyse von Daten im ERP-System wären Chatbots denkbar, um Trends bei Verkaufszahlen zu identifizieren oder Prognosen für zukünftige Verkaufserfolge zu erstellen.
Doch bei aller Euphorie: Ohne Programmierer geht es wohl auch in Zukunft nicht. Trotzdem sind die Potenziale von ChatGPT enorm. Und vermutlich hat der clevere Bot tatsächlich das Zeug dazu, die IT- und damit auch die ERP-Welt nachhaltig zu revolutionieren.
Was bedeutet der Sprung von GPT-3 zu GPT-4?
Seit März ist die kostenpflichtige Version ChatGPT Plus auf dem Markt, die auf dem neuen Sprachmodell GPT-4 basiert. Die eigenständige KI OpenAI Codex, die eigens dafür konzipiert wurde, Programmiercode per Sprachbefehl zu entwickeln, gibt es in dieser Form nicht mehr. Sie ist jetzt Teil von GPT-4.
GPT-4 nutzt mehr Daten und mehr Berechnungen, um noch ausgefeiltere und leistungsfähigere Sprachmodelle zu erstellen. Laut Open AI ist die neue Version dem Vorgänger daher deutlich überlegen: Unter anderem soll GPT-4 mit einer 40 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit sachliche Antworten geben als GPT-3.5. Gleichzeitig sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es auf unerlaubte Fragen antwortet, um 82 Prozent. GPT-4 analysiert und schreibt mit etwa 24.000 Wörtern viermal so lange Texte wie GPT-3. Zudem können Nutzer der KI eine genaue Nutzung oder den Nutzungsstil eines Textes vorschreiben.